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Von Spurenlesern und Spürhunden

Peter Schaar

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit von 2003 bis 2013, Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) seit September 2013. Foto: privat

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit von 2003 bis 2013, engagiert sich auch nach Beendigung seiner Amtszeit in vielfacher Weise für dieses Thema. So ist er seit September 2013 Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) mit Sitz in Berlin. Auch durch seine Mitgliedschaft in anderen Organisationen setzt er sich öffentlich für informationelle Selbstbestimmung ein. Zu seinen bekanntesten Publikationen gehören die beiden Bücher „Das Ende der Privatsphäre“ (2007) und „Überwachung total“ (2014). Für seine Arbeit wurde Peter Schaar mehrfach ausgezeichnet.

Hier spricht er darüber, was man aus digitalen Spuren lesen kann und was dies für Informanten ebenso wie für Journalisten bedeutet, wenn sie ungehindert recherchieren und berichten wollen.

Ein Interview von Astrid Kösterke

Sie beklagen, dass es bei deutschen Geheimdiensten Kontrolldefizite gibt. Dahinter steht die Befürchtung, dass wir uns in Richtung einer Überwachungsgesellschaft bewegen. Sehen Sie hier eine Gefährdung der Arbeit von Journalisten, die sich für heikle Themen interessieren?
Das Problem ist hier vor allem der Informantenschutz. Wenn man mit einem Informanten in Kontakt tritt, dann hinterlässt das mit heutiger Technik einen Verbindungsdatensatz. Wenn man nicht große Bemühungen unternimmt, die Spuren zu verschleiern, enthält dieser Datensatz beispielsweise auch die Standorte, von denen jeweils telefoniert wurde. Diejenigen, die Zugang zu diesen Verbindungsdaten haben – Geheimdienste oder Strafverfolgungsbehörden, die dazu ja auch bestimmte gesetzliche Befugnisse haben –, erfahren dann, mit wem ein Journalist Kontakt hatte und in welcher Angelegenheit er recherchiert. Außerdem wird der Standort des Informanten ersichtlich. Das ist ein ganz zentrales Problem, gerade beim investigativen Journalismus, wenn ein Informant sich versteckt hält, aus welchen Gründen auch immer. Es hat Fälle gegeben, wo polizeilich gesuchte Personen auch aufgrund journalistischer Recherchen festgenommen wurden.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wo Journalisten und Sicherheitsbehörden in Konflikt geraten sind?
Spontan fällt mir da der Fall eines bekannten Bauunternehmers ein. Eine Frankfurter Zeitung berichtete 1994 über Ungereimtheiten bei Mietverträgen bei dessen Objekten. Durch den Zeitungsartikel wurden die Ermittlungsbehörden aktiv und die ganze Geschichte kam ins Rollen.

Es gab da noch einen Fall, an den ich mich erinnere. Es ging um einen reumütigen Terroristen, der sich 1998 stellen wollte, aber vorher in Paris festgenommen wurde. Er hatte telefonischen Kontakt zu einer deutschen Journalistin, deren Telefone abgehört wurden. Die Auswertung der Verbindungsdaten führte das Bundeskriminalamt zu seinem Versteck.

Wie ist das mit digitalen Spuren durch die Nutzung von Suchmaschinen?
Viele sind sich ja nicht einmal bewusst, dass jede Suche im Internet auch etwas über einen sagt. Ein Journalist, der an einem sensiblen Themenkomplex recherchiert und dabei mit Suchmaschinen arbeitet, die jede Suchanfrage einem persönlichen Profil zuordnen, geht ein Risiko ein. Denn es ist leider nicht auszuschließen, dass diese Daten gezwungenermaßen oder auf freiwilliger Basis an Geheimdienste und andere Behörden gehen. Dies ist natürlich ein großes Problem. Da muss man sich – nicht nur als Journalist – überlegen, ob man nicht besser eine Suchmaschine nutzt, die einen garantierten Datenschutz gewährleistet und die Nutzeranfragen nicht protokolliert. Inzwischen gibt es durchaus leistungsfähige Anbieter, etwa ixquick oder MetaGer, die als Alternative zu Google in Frage kommen.

Was hat sich für investigativ arbeitende Journalisten verändert, seit 2013 durch Edward Snowden die NSA-Affäre ins Rollen kam?
Ich denke, da geht es vielen Journalisten wie anderen Menschen auch: Sie sind erschrocken, wie umfangreich die Überwachung tatsächlich ist. Dabei ist das, was Snowden offenbart hat, nur ein Ausschnitt aus einem Gesamtbild. Man muss annehmen, dass es noch weitere Überwachungsmechanismen gibt. Außerdem beziehen sich die Snowden-Veröffentlichungen ausschließlich auf die Aktivitäten amerikanischer und britischer Geheimdienste. Es gibt ja auf der Welt noch sehr viele andere, die auch nicht müßig sind und gegebenenfalls sehr aktiv versuchen, Journalisten auszuspähen. Denken Sie an den russischen oder an den chinesischen Geheimdienst, von denen man weiß, dass sie sehr umfangreiche Überwachungsaktivitäten ausüben. Insofern könnte man sagen, spätestens nach Snowden müssten eigentlich alle Journalisten bösgläubig sein.

Bei Gesprächen mit Journalisten und anderen Medienvertretern fand ich es manchmal erschreckend, wie naiv viele immer noch waren – auch nach den Snowden-Veröffentlichungen. Glenn Greenwald spricht ganz zu Anfang in seinem Buch „Die globale Überwachung“ darüber, wie naiv auch er früher war im Umgang mit seiner Kommunikation. Zum Beispiel konnte er nicht mit den verschlüsselten E-Mails umgehen, die er erhalten hatte. Er hat dann sehr schnell gelernt, wie er Risiken vermeiden kann, etwa indem er selbst seine Daten verschlüsselt.

Man ist also erst einmal sehr erschrocken über bestimmte Überwachungsmechanismen. Hat das in der Konsequenz zu einem Umdenken beim journalistischen Arbeiten geführt?
Viele Journalisten haben diesen Lernfortschritt noch vor sich. Da besteht meiner Meinung nach erheblicher Nachholbedarf. Sie müssen sich fragen: Was bedeutet Überwachung für die Pressefreiheit? Führt die Möglichkeit der Überwachung zur Selbstzensur? Wie können Informanten geschützt werden? Wie können recherchierte Beiträge so gespeichert werden, dass Dritte sie nicht zu sehen bekommen, bevor sie veröffentlicht werden? Wie kann man die Anonymität der Quellen gewährleisten, also Quellenschutz in dem Sinne, dass das selbst recherchierte und auch fremd zugängliche Material nicht offenbart wird?

Was könnte man konkret tun, um Journalisten bei nicht-identifizierbarer Bewegung im Netz zu unterstützen?
Praktische Hilfe könnten auch die Journalistenverbände und die Zeitungsverleger leisten, wobei sie datenschutzfreundliche Lösungen noch stärker promoten sollten. Denkbar wäre eine Plattform für Journalistinnen und Journalisten, auf der sie sich austauschen können über diese Themen und wo sie echte Hilfestellung bekommen.

Im Oktober 2014 fand die „36th International Conference of Data Protection and Privacy Commissioners“ statt, die unter dem Motto stand: A WORLD ORDER FOR DATA PROTECTION – OUR DREAM COMING TRUE? Sind Sie der Verwirklichung dieses Traumes ein Stück näher gekommen?
Da bin ich mir nicht so sicher, ob dieser Traum Wirklichkeit wird. Es gibt immerhin ganz kleine Schritte in Richtung einer neuen Datenschutzweltordnung. Ein erster Schritt war die Entschließung der UN-Vollversammlung zum Thema Datenschutz bei der elektronischen Kommunikation im Dezember 2013. Und es gibt einen beachtlichen Report der Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte Pillay von 2014, die das Thema vertieft hat. Ich denke, dass wir diesen Weg weiter verfolgen müssen, auch wenn wir nur langsam vorankommen. Dazu gibt es keine Alternative.

Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass man dort, wo man schneller vorankommen kann, sei es nun auf der Ebene nationaler Gesetzgebung oder in Europa, nicht verharren und warten darf, bis da etwas weltweit zu Stande kommt. Da müssen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.

 

Buchtitel Informantenschutz von Peter Welchering und Manfred Kloiber

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Peter Welchering und
Manfred Kloiber:
Informantenschutz
EAN 978-3-658-08718-0
Preis: noch offen